Berufung und Pflichterfüllung
Adolph Kolping steht als Mensch vor uns, der sein Leben und Wirken durch und durch aus einem klaren religiösem Fundament heraus gestaltet, das in der Familie grundgelegt wurde. Religion, katholisches Christentum, ist für ihn nicht vorrangig äußerliches Bekenntnis oder gar nur formale Zugehörigkeit zur Kirche, sondern Basis und Richtschnur allen Tuns. Geschöpf Gottes zu sein, ist für Kolping weit mehr als die quasi einmalige Akzeptanz des Geschaffen-Seins. Für ihn bedeutet dies die Notwendigkeit und Verpflichtung, sich immer wieder zu fragen und zu prüfen, was Gott mit ihm vorhat, und ob der eingeschlagene Weg richtig ist - eine ständige bewußte und kritische Reflexion also, die in der Überzeugung wurzelt, daß jeder Mensch von Gott auf einen bestimmten Platz gestellt ist, den er mit allen Kräften auszufüllen hat. Hier kommt der Begriff Berufung ins Spiel: Die eigene Lebensgestaltung ist letztlich nicht der freien Entscheidung des einzelnen überlassen, so sehr er auch eigenverantwortlich zu handeln hat. Vielmehr gilt es, auf Gottes Fingerzeige zu achten (Vorsehung), um die eigene Bestimmung auch tatsächlich erkennen und erfüllen zu können. Mit solchen Vorstellungen korrespondiert die Überzeugung von der Pflicht des einzelnen, den ihm gewiesenen Weg auch zu gehen, bei übernommenen Aufgaben auch bei noch so großen Schwierigkeiten nicht zu resignieren oder vor vermeintlich unüberwindlichen Hindernissen nicht zu fliehen. Nicht der äußerlich sichtbare oder meßbare Erfolg ist dabei entscheidend, sondern das redliche Bemühen, das Richtige und Notwendige zu tun. Das Stichwort Bemühen darf hier allerdings nicht 'unterschätzt' werden: Für Kolping, dem sein Wirken für den Gesellenverein in eben diesem Sinne Berufung und damit Pflichterfüllung war, gilt es, alle vorhandenen Kräfte zu mobilisieren und einzusetzen, konsequent, ja letztlich kompromißlos das als richtig und notwendig Erkannte anzugehen und zu verwirklichen zu suchen. "Wer die Herde annimmt, muß sie auf die Weide treiben, lieb oder leid." In dieser kurzen Aussage Kolpings manifestiert sich das angesprochene Pflichtgefühl. Die Aufgaben, die man im Leben übernommen hat - und zwar in allen Bereichen, sei es in Familie, Beruf oder Gesellschaft - muß man nach besten Kräften zu erfüllen suchen, unabhängig davon, ob dies nun immer einfach ist oder nicht. In der Erfüllung dieser Aufgaben darf man, so Kolping, "nach keiner Mühe fragen."
Einer engen Freundin schreibt Kolping: "Sehen Sie alles als einen Fingerzeig Gottes an, der die Geschicke des Menschen mit weiser Hand leitet - alles zur rechten Zeit. Oft trifft seine Anordnung mit unseren Wünschen zusammen, dann sollen wir Gott danken. Oft sind sie aber auch unseren Wünschen entgegen, und auch dann sollen wir als demütige, gehorsame Kinder die Vaterhand Gottes küssen." Sicherlich würde man Kolping mißverstehen, wenn man hier einen gewissermaßen fatalistischen Grundzug hineininterpretieren würde, so, als ob der Mensch alles, was auf ihn zukommt, einfach hinnehmen und ertragen müßte. Sehr wohl soll und muß er sich bemühen, aktiv sein Dasein zu gestalten, sehr wohl kann und darf er nach Veränderung seiner Verhältnisse streben; entscheidend ist, daß er sich immer wieder selbst die Frage stellt, ob sich das was er will und tut, auch mit dem Wollen des Schöpfers im Einklang befindet. Eben dies auf die Eigenverantwortlichkeit des Menschen hin: Letztlich ist jeder - unbeschadet aller vorgegebenen Umstände, aller Zwänge und aller vermeintlichen oder tatsächlichen Machtlosigkeit - für sein Leben verantwortlich. Er kann diese Verantwortung also nicht an irgendwelche Instanzen 'abschieben'. Gerade heute scheint dieser Gedanke aktuell, sind wir doch sehr leicht geneigt, diese persönliche Verantwortung für das eigene Leben gegenüber vermeintlich 'allmächtigen' gesellschaftlichen Einflüssen und Bedingtheiten in den Hintergrund treten zu lassen. Im übrigen betont Kolping immer wieder, daß Gott zwar vom einzelnen Rechenschaft fordert und ihm unter Umständen erhebliche Mühen in der Bewältigung seines Daseins auferlegt, daß er auf der anderen Seite aber auch ausreichende 'Hilfsmittel' bereitstellt, um das Leben meistern zu können. In diesem Sinne heißt es: "Also nur guten, fröhlichen und frischen Mut, und wenn das Stück Arbeit auch noch so riesig aussehen sollte. Der große Gott, der die hohen Alpen aufgetürmt hat, der das ungeheure Weltmeer ausgegaossen, hat auch die Pfade gezeigt, die über die Berge führen, und das Holz leicht gemacht, daß es auf dem Wasser schwimmt, und Wind dazu, daß man rund um die Erde segeln kann." Freilich wird mit gleicher Deutlichkeit betont, daß für den Christen das irdische Leben eben nur ein 'Durchgangsstadium' ist, aber kein in sich gründender und endender Selbstzweck. "Drüben ist unsere wahre Heimat. Wir gehen gleichsam in die Schule, um ein anderes, besseres Leben kennen und verdienen zu lernen."
Gebet und Gottvertrauen
Natürlich stellt sich hier die Frage, woher der Mensch die Kraft beziehen kann und soll, solchen Ansprüchen gerecht zu werden, die bloß menschliche Kräfte und Fähigkeiten sicherlich vielfach überfordern. Für Kolping ist die Antwort klar: Als Geschöpf Gottes ist der Mensch nicht in einem einmaligen Akt in die Welt gesetzt, um dort nun allein fertig zu werden, vielmehr kann und darf, ja muß er sich getragen wissen von der Hand seines Schöpfers, der ihn nicht allein läßt und ihn schon gar nicht fallen läßt. "Wer redlichen Willen hat, dem hilft Gott", in dieser oder ähnlicher Formulierung drückt Kolping immer wieder diese tiefe Überzeugung aus - hier wurzelt sein tatsächlich unerschütterliches Gottvertrauen, das es ihm überhaupt erst ermöglichte, seinen Weg konsequent zu gehen, einen Weg, der wahrlich nicht frei von Schwierigkeiten und Problemen war. Das Vertrauen auf Gott ist also gewissermaßen der Schlüssel für die konsequente Pflichterfüllung des Christen, aber eben mit der Maßgabe, daß dieses Vertrauen nur gerechtfertigt ist, wenn das eigene Wollen und Handeln auch wirklich bewußt als Akzeptanz bzw. Realisierung des göttlichen Willens verstanden wird. Gottvertrauen kann also nicht als 'Freibrief' für jedwedes Handeln verstanden bzw. mißverstanden werden. "Ich will nicht klagen, will vielmehr auf Gott hinsehen und auf ihn vertrauen, der dem redlichen Willen nie seine gnädigste Hilfe versagt." Kolpings Gottvertrauen ging so weit, daß er bestimmte Vorhaben für den Gesellenverein angehen konnte, ohne sich vorher nach allen möglichen Richtungen hin abgesichert zu haben, einfach in der Überzeugung, daß er bei seinem Eintreten für die gute Sache nicht 'alleingelassen' würde. "Haben wir nur guten Mut und Gottvertrauen, dann werden wir sicher nicht zu Schanden. Wie übel wären wir daran, wenn unsere Hoffnung auf Menschen ruhte."
Für Kolping ist das Gebet ständiger und notwendiger 'Dialog' mit Gott. Die Auseinandersetzung mit den grundlegenden Fragen des Lebensweges und damit der eigenen Bestimmung, das Ringen um die rechten Entscheidungen im alltgäglichen Leben und Wirken, die Bitte um Erhörung besonderer Anliegen und um die Kraft, auch schmerzliche Ereignisse und Erlebnisse bewältigen zu können, nicht zuletzt schließlich Dank und Lobpreis Gottes - all dies ist 'Thema' eines solchen Dialogs, und zwar nicht auf das unmittelbare eigene Lebensfeld beschränkt, sondern praktisch unbegrenzt. Vielfältigste Anliegen aus seinem näheren und weiteren Umkreis schließt Kolping in sein tägliches Gebet ein, wie er auch immer wieder darum bittet, daß andere ihn in ihr Gebet einschließen. Kolping zeigte sich immer wieder "durchdrungen von der Überzeugung, daß buchstäblich kein Haar von unserem Haupte fällt ohne den Willen unseres Vaters im Himmel." Er ist sich absolut sicher in dem Wissen um das Getragen-Sein von der Hand des Vaters, und eben dieses Wissen gibt ihm überhaupt erst die Fähigkeit und die Kraft, sein Leben und sein Werk mit der Entschlossenheit und Hingabe zu gestalten, die uns bis heute fasziniert. "Mit dem Beten, und mag es auch noch so mangelhaft gewesen sein, habe ich noch immer mehr ausgerichtet als mit allem irdischen Sorgen und Abmühen. Das sage ich Ihnen so im Vertrauen, damit Sie auch ein rechtes Vertrauen fassen und in allen Dingen den lieben Gott nur walten lassen. Endlich geht durch Gottes Hand alles besser als ich und Sie und wir alles es nur machen können." Kolping differenziert im übrigen sehr deutlich: Das Vertrauen in die Macht des Gebetes kann für ihn nicht Argument oder gar Alibi für den Verzicht auf eigenes Tun sein! "Da, wo ich durch eigene Tätigkeit und Anstrengung das. was ich für gut oder wünschenswert halte, erreichen kann, ist mein Gebet in der Regel sehr kurz und bündig. Die Sache wird Gott befohlen. Gelingt sie, gut, gelingt sie nicht, von Neuem angesetzt. Und will sie Gott nicht, auch gut, denn er will's dann nicht haben. Basta! Aber wo ich eigentlich nichts direkt tun kann, z. B. Leiden und Unglück von denen fernhalten, die meinem Herzen nahestehen, da wird gebetet, und zwar so recht eigentlich ohne Unterlaß. Ich weiß aus Erfahrung, wie weit man damit reichen kann."
Nächstenliebe und Anteilnahme
Lebendiges Christentum erfüllt sich für Kolping nicht primär in der Befolgung bestimmter Normen und erschöpft sich auch nicht in der Teilhabe am kirchlichen Leben, es bewährt sich vielmehr in erster Linie durch tätige Nächstenliebe. Nicht zufällig stellte er deshalb seine erste programmatische Schrift über den Gesellenverein unter das Motto "Tätige Liebe heilt alle Wunden, bloße Worte mehren nur den Schmerz". Mitsorge und Anteilnahme für den Nächsten sind deshalb auch hervorstechende Merkmale der Persönlichkeit Adolph Kolpings. Dabei wurde keine bequeme Auswahl getroffen, etwa in der Konzentration auf besonders nahestehende Personen oder in der bloß verbalen Solidarität mit dem fernen Nächsten, für Kolping zählte immer die tatsächliche Situation, in der jemand einer Hilfe und Zuwendung bedurfte, die er selbst zu leisten imstande war. Insofern verfiel er auch nicht der gerade heute aktuellen Gefahr, vor lauter Sorge um die großen Weltprobleme die ganz unmittelbaren, scheinbar kleinen Anforderungen der ganz konkreten Umwelt in den Hintergrund zu drängen. Kolpings Engagment für den Mitmenschen gründet gerade auch in der Überzeugung, daß alle Menschen als Geschöpfe Gottes in mannigfacher Weise verbunden und aufeinander angewiesen sind. Die Welt, so formulierte er einmal, ist nicht einzelnen anvertraut, sondern der Menschheit insgesamt, die deshalb auch ein Ganzes bildet. Von diesem Ansatz her betont Kolping immer wieder auch die Pflicht des einzelnen, im Rahmen seiner Möglichkeiten Verantwortung für das Ganze und damit für andere Menschen zu übernehmen. Sein Engagement im Katholischen Gesellenverein ist eines von vielen Beispielen für die Annahme und Verwirklichung solcher Verantwortung, der sich eigentlich niemand entziehen darf, und seien die relevanten Bereiche auch noch so unscheinbar oder vermeintlich bedeutungslos.
Wenn man Kolpings Briefe studiert, wird man immer wieder feststellen, in welch starkem Maße er Anteil am Geschick derjenigen Menschen nahm, mit denen er es zu tun hatte, mit denen er in irgendeiner Weise verbunden war. Auch noch so große eigene Bedrängnis konnte ihn nicht davon abhalten, dieses Mitsorgen und Mitleiden dem anderen gegenüber in Schrift oder Tat auszudrücken. Einer von einem Unglücksfall betroffenen Familie schrieb er: "Wie gern wäre ich jetzt in Ihrer Nähe, um Ihnen Beistand und Trost zu reichen, so viel ich nur vermöchte! So schreibe ich Ihnen denn sofort wenigstens ein paar Zeilen, damit Sie sehen, daß ich auch in der Ferne den herzlichsten und innigsten Anteil an allem nehme, was Sie, was Euch alle betrifft." An anderer Stelle schreibt er an einen Freund, dessen Frau schwer krank ist: "Sage Antonie, ich betete unablässig für sie und bäte sie nur brüderlich, rechtes Vertrauen auf Gott zu behalten, der schlägt und heilt zu seiner Zeit. Alles, was sie wünsche und verlange, daß ich für sie tun solle, wollte ich gerne übernehmen." Kolpings Anteilnahme wirkt nie gekünstelt oder aufdringlich, sie kommt aus ehrlichem Herzen, aus dem ehrlichen Bestreben, für den anderen da zu sein. Auch hier ist Kolping konsequent; auch hier geht er den für richtig erkannten Weg unter Hintansetzung persönlicher Interessen und Bedürfnisse. Beispielhaft wird dies deutlich, wenn er während seiner Kölner Schulzeit einen ehemaligen Mitgesellen, der an den Pocken erkrankt ist, ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit und seine schulischen Verpflichtungen pflegt, wodurch er sich erhebliche Nachteile einhandelt. Ein anderes Beispiel ist sein Einsatz bei der Choleraepidemie des Jahres 1849 in Köln, die das gerade in den Anfängen befindliche Werk gefährdete: Kolping, der gerade den Kölner Gesellenverein als Zentrum des neu aufzubauenden Werkes gegründet hatte, meldete sich nach Ausbruch der Cholera unverzüglich freiwillig für die Seelsorge im Hospital. Auf Vorhaltungen seiner Freunde reagiert er nur mir dem Hinweis, die Kranken seien im Augenblick seine Nächsten!
Die aktive Teilhabe am Geschick des anderen war für Kolping aber keine 'einseitige' Angelegenheit: Gerade das freundschaftliche Verhältnis sah Kolping als echte Partnerschaft, wo auch die Möglichkeit bestehen mußte, die eigenen Freuden und Leiden dem anderen mitzuteilen, ihm mit Sorgen und Problemen zu 'behelligen'. Wenn Kolping in seinen Briefen immer wieder auf die eigenen Probleme zu sprechen kommt, so eben aus diesem Ansatz heraus. Einem Jugendfreund teilt er mit: "Ich schreibe Dir da etwas, das eigentlich gar nicht zu Dir paßt, was ich für mich selbst behalten sollte. Aber da Du mein Freund bist, im vollen Sinne des Wortes bist, so mußt Du auch einmal zuhören, wenn ich meinem stillen Ärger Luft mache."
Kompetenz und Zielstrebigkeit
Bereitschaft zum Engagement für den Mitmenschen und für die Welt erfordern nicht allein guten Willen, sondern auch Kompetenz. Man kann nicht alles aus einem Menschen machen, hat Kolping einmal formuliert. Aber das, was möglich ist, sollte nicht unversucht bleiben. Gerade er selbst hat sich stets bemüht, dem Anspruch gerecht zu werden, alle vorhandenen Kräfte und Fähigkeiten zu entwicklen. Nicht zuletzt die Überzeugung, daß vorhandene Fähigkeiten bei einer Fortsetzung des bisherigen Lebensweges ungenutzt bleiben mußten, war es ja, die Kolping dazu brachte, das Handwerkerdasein aufzugeben und einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Für Kolping steht es im Übrigen nicht im privaten Belieben, mit den eigenen Kräften und Fähigkeiten umzugehen, auch hier sieht er wieder die notwendige Pflichterfüllung, den Auftrag des Schöpfers. Die Wahrnehmung dieser Pflicht ist freilich kein 'einmaliger' Akt, sondern lebenslange Aufgabe und Herausforderung. Dabei ist wiederum das weltanschauliche Fundament von entscheidender Bedeutung, denn nur von dort können ja grundlegende Handlungsimpulse und Urteilsmaßstäbe bezogen werden. Adolph Kolping ist so - über die Bekanntschaft mit dem Katholischen Gesellenverein vor dem Hintergrund der eigenen Lebenserfahrung als Handwerker - zu seiner eigentlichen Lebensaufgabe gekommen!
"Mich spricht jetzt das praktische Leben immer mehr an. Tätigkeit allein kann mich befriedigen, und zwar solche, die auch etwas zum Besten der Menschheit bezweckt." Kolping war stets ein Mann der Tat, rastlos getrieben von dem Wunsch, etwas für den anderen zu tun. Der Christ konnte sich für ihn nicht damit zufrieden geben, die eigene Lebensgestaltung aus einem verengten Blickwinkel heraus unter das Motto 'Rette deine Seele' zu stellen. Christ-Sein mußte sich für Kolping im konkreten Tun manifestieren, im Wirken für die Welt, für den anderen. Kennzeichnend für diese Einstellung ist es, wenn Kolping nach einer gerade eben überstandenen schweren Krankheit schreibt: "Drücken Schandtaten zwar nicht nieder, so erheben doch auch noch keine Großtaten für Gott und den Bruder. Die Ruhe im Sterben besteht im Bewußtsein, gut gehandelt zu haben, und zwar so viel und in dem Maße, was man gekonnt hat. Mit welcher Freude würde ich gestorben sein, hätte ich vieles, recht vieles Gute auf Erden unter den Menschen vollbracht. Eines jeden Leben ist voll Gelegenheiten, Gutes zu tun. Man sieht es nur gewöhnlich nicht eher ein, als bis es zu spät ist. Worte und Empfindungen sind gut, aber sie wiegen die Taten nicht auf".
Ein bestimmender Zug in Kolpings Person und Leben ist die Konsequenz in der Zielverwirklichung, sein totales Engagement ist die als richtig und notwendig erkannte Sache, seine Hingabe für die selbst gestellte oder übernommene Aufgabe, bis hin zur Rücksichtslosigkeit gegenüber der eigenen Person. Kolping hatte in seinen verschiedenen Tätigkeitsfeldern Gelegenheit genug, diese Zielstrebigkeit zu verwirklichen. Ohne seinen Einsatz im angedeuteten Sinne hätte er sein Werk mit Sicherheit nicht so auf- und ausbauen können, wie er es bei seinem Tode hinterließ. In seinem kompromißlosen Engagement war Kolping für seine Mitmenschen freilich kein einfacher Partner. Wer ihn aber kannte, der verstand, daß dieser Mann nicht anders handeln konnte. In einem Beschwerdebrief des jungen Kaplans Kolping an das Generalvikariat in Köln heißt es in kennzeichnender Weise: "Ich will aufrichtig, was die Kirche will, das aber auch ohne Menschenfurcht, selbst auf die Gefahr hin, bisweilen, wenn das Gewissen stärker ruft als das Herz, anzustoßen." Zeit seines Lebens ist Kolping an den verschiedensten Stellen 'angeeckt', was ihn in seinem Engagement aber nicht wankend machen konnte, ihn vielmehr nur bestärkte auf dem als richtig und notwendig erkannten Weg.
Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch Kolpings Fähigkeit, die eigenen Möglichkeiten realistisch einzuschätzen und die vorhandenen Kräfte konzentriert einzusetzen. Wenn sich Kolping zum Beispiel insbesondere dem Gesellenstand zuwandte, wohl wissend, daß auch andere gesellschaftliche Gruppen dringend der Hilfe bedurften, so ganz einfach deshalb, weil er klar erkannte, daß er mit seinen Möglichkeiten nur in einem bestimmten Felde würde erfolgreich arbeiten können und daß ein gleichzeitiges Angehen der verschiedensten Aufgaben und Probleme lediglich zu einer Verzettelung der Kräfte führen würde und damit letztlich erfolglos bleiben müßte. Im übrigen konnte die Einsicht in die Unzulänglichkeit der eigenen Mittel Kolping niemals zur Resignation veranlassen. Immer wieder wandte er sich energisch gegen einen Verzicht auf das eigene Engagement, der mit vermeintlicher Ohnmacht begründet wurde. In seiner Sicht konnte jeder, auf welchem Platz auch immer, seinen Teil zur Prägung und Veränderung der Welt beitragen.
Nur von einem solchen Ansatz aus konnte Kolping formulieren: "Tut jeder in seinem Kreis das Beste, dann wird's auch bald in der Welt besser aussehen."
Offenheit und Aufgeschlossenheit
Einem Mitbruder im Präsesamt, der sich an Kolping mit der Frage wandte, was er denn den Vereinsmitgliedern anbieten solle, gab Kolping zur Antwort, er möge sich doch eine geraume Zeit ganz unbefangen unter den Gesellen bewegen und deren Situation kennenlernen, dann würde er wie von selbst wissen, was sie brauchten und woran sie Interesse hätten. Kolping war stets aufgeschlossen für neue Erfahrungen und Eindrücke, für gewandelte und sich wandelnde Gegebenheiten und Bedingtheiten. Seine lebendigen Reiseschilderungen geben davon ebenso Zeugnis wie sein Wirken im Gesellenverein. Sein eigener, eigentlich sehr 'bewegter' Lebensweg bot ihm immer wieder Chance und Herausforderung zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Zeit! Dazu gehörte für ihn auch die Bereitschaft, die eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen immer wieder selbstkritisch zu überprüfen.
Kolpings Offenheit schließt also Fähigkeit und Bereitschaft ein, immer wieder zu lernen, sich neuen Erfahrungen zu stellen. Dazu gehört auch das Ernstnehmen des Menschen in seinen Interessen und Bedürfnissen, wie es sich vor allem in der praktischen Arbeit im Gesellenverein zeigte: Nachdrücklich hat Kolping immer wieder betont, wie wichtig es sei, die Arbeit so anzulegen, daß dem anderen Hilfe zur Selbsthilfe zuteil wird, daß er also nicht zum bloßen 'Objekt' eines einseitigen - und wenn auch noch so gutgemeinten - Entwicklungs- und Erziehungsprozesses wird. Allerdings: Die genannte Offenheit einerseits und der Ausgang von klaren Grundpositionen andererseits waren für Kolping keine konkurrierenden oder gar sich ausschließenden Alternativen. Kolping hat niemals darauf verzichtet, von seinem religiösen Fundament aus die erfahrene und erlebte Wirklichkeit kritisch unter die Lupe zu nehmen und auch sehr deutlich zu beurteilen. Ebensowenig konnte ihn das durchaus ernstgenommene Bemühen um das Ernstnehmen des anderen daran hindern, diesem anderen gegenüber auch sehr deutlich bestimmte Aufgaben und Notwendigkeiten zu betonen oder auf Mängel oder Defizite bezüglich konkreter Einstellungen und Verhaltensweisen hinzuweisen. Widersprüchlich oder unverständlich kann dies nur dem erscheinen, der Aufgeschlossenheit mit Kritiklosigkeit und Toleranz mit Standpunktlosigkeit verwechselt. Für Kolping war es durch und durch legitim und selbstverständlich, sehr hart gegen nach seiner Auffassung falsche oder gefährliche Meinungen und Verhaltensweisen ins Feld zu ziehen. Der Kampf gegen den Irrtum konnte freilich nicht bedeuten, den irrenden Menschen zu verdammen oder ihm das Recht zum Irrtum abzusprechen. Genau diese Differenzierung ist den Menschen zu allen Zeiten sehr schwer gefallen; in Kolpings Schriften und in seinem Handeln läßt sich jedoch das stete Bemühen um einen richtigen Weg spüren.
"Mancher ist zum Diebe, zum Spitzbuben und Schuft geworden, weil die Leute ihn dafür hielten und ihn demnach behandelten, bevor er es war." Auch dieser Gedanke Kolpings verdient Beachtung. Er kennzeichnet Kolpings Bemühen um Vorurteilslosigkeit dem anderen Menschen gegenüber. So wenig er sich scheut, die Dinge beim Namen zu nennen, tut er dies doch erst, wenn er sich seiner Sache sicher ist. Auch hier, wie überall sonst, schlägt Kolpings religiöse Grundhaltung durch: Am kompromißlosen Eintreten für die eigene Sache werden keine Abstriche gemacht: "Im Christentum gibt es keine Toleranz zwischen Gutem und Bösem". "Wer das Christentum nimmt, der muß es ganz ungeteilt nehmen, der darf kein Tüttlein verschmähen von dem, was dazu gehört, und, bei Licht besehen, gehört so ziemlich alles dazu." Zugleich aber gehört auch im Gegner zuerst und vor allem der Mensch gesehen, der Bruder in Christus, der Anspruch darauf hat, in seiner Person ernstgenommen zu werden und dem man mit pauschalen Urteilen und vorschnellen Verurteilungen nicht gerecht zu werden vermag. "Verspotte und verachte keinen Menschen, der einen anderen Glauben hat als Du", sagt Kolping mahnend. "Gott hat mit dem irrenden Menschen ein unendliches Erbarmen. Weil Gott so barmherzig ist, sollen wir es an Barmherzigkeit nicht fehlen lassen. Wo Gott selbst den Maßstab anlegt, da geziemt es dem Menschen nicht, anderes Maß zu gebrauchen."
Vorbild und Beispiel
Nur wer selbst seinen Pflichten treu ist, kann, so hat Kolping gemeint, auch andere mit Erfolg zur Pflichttreue anhalten. Er selbst ist diesem Gedanken in der Tat gefolgt, er hat sich in all seinen Lebenssituationen immer bemüht, seiner Verantwortung vor Gott, vor den Mitmenschen und vor sich selbst gerecht zu werden, seine Pflichten zu erfüllen. Damit sind wir bei der zentralen Bedeutung, die für Kolping das Beispiel hat. "Nichts lehrt eindringicher und nichts wirkt nachhaltiger", so sagte er einmal, "als das alltägliche Beispiel." Dabei spielen die äußeren Umstände gar keine weitere Rolle, denn beispielhaftes Wirken ist jederzeit und überall möglich. Anderen ein Beispiel geben, ihnen mit gutem Beispiel vorangehen, ihnen damit auch Mut zu machen, das waren gewiß herausragende Merkmale Adolph Kolpings, die bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Ein solches überzeugtes Wirken setzt freilich die eigene Sicherheit voraus. Denn Mut macht nach Kolping ja nur, wer selbst Mut hat. Erst eine solche Sicherheit aber, die im letzten nur aus einem tiefen religiösen Fundament gewonnen werden kann, befähigt letztlich dazu, auch sehr offen und deutlich anderen gegenüber die Meinung zu sagen oder ihnen gegenüber Forderungen zu stellen. "Zum Schmeicheln habe ich das Zeug nicht, zum Wahrheitsagen den Beruf." In der Tat war Kolping, wenn man seine eigenen Schriften liest und den Berichten der Zeitgenossen Glauben schenkten darf, kein Mann der hohlen Worte und Phrasen, viel eher jemand, der im Regelfalle sehr deutlich das sagte, was er dachte, der den anderen nicht im Zweifel darüber ließ, was von ihm gehalten oder erwartet wurde. Galt dies schon ganz allgemein, so erst recht in freundschaftlichen Verhältnissen: Kolping sah einen wichtigen Aspekt der Freundschaft gerade in der Möglichkeit, dem anderen ganz offen und ungeschminkt zu begegnen. "Deswegen sind wir erst eigentlich Freunde, daß wir uns gegenseitig nicht nur die Zeit vertreiben und aufheitern, sondern auch in ernsten Stunden dichter aneinanderreihen, einer dem anderen seine Ansichten und Meinungen unverhohlen, treu und gewissenhaft mitteilt." Natürlich war diese Gradlinigkeit Kolpings ebenfalls nicht dazu angetan, ihm nur Freunde zu verschaffen. Kolping konnte dies freilich nicht in seiner Grundüberzeugung beirren, daß offener Freimut keiner Sache schaden könne.
Die genannte Eigenschaft hängt sehr eng zusammen mit der inneren Einstellung der eigenen Person und Bedeutung gegenüber. "So einen wie mich kann der Herrgott alle Tage haben.", schrieb Kolping einmal auf einen Hinweis, daß man wegen seiner Bedeutung für den Gesellenverein um sein Leben gefürchtet habe. Es wäre zu wenig, hier von einer einfachen 'Bescheidenheit' zu sprechen. Kolping wußte sehr wohl um seine Bedeutung; von seiner religiösen Grundüberzeugung her kam er nur nie in Gefahr, die eigene Leistung zu überschätzen, weil er sich immer der Tatsache bewußt war und blieb, daß er ohne Gottes Willen und Beistand nichts, aber auch gar nichts hätte erreichen können. "Unser Herrgott hat mich nie nötig gehabt, das ist ganz gewiß. Und zum Gesellenvater hätte er jeden anderen machen können, wenn er gewollt." Eine solche innere Einstellung, verbunden mit der oben skizzierten Direktheit, konnte Kolping sehr gut davor bewahren, sich zu viel aus dem zu machen, was andere von ihm dachten und sagten. Er geriet kaum in die Gefahr, um der persönlichen Anerkennung willen mit seinen Zielen oder Meinungen hinter dem Berge zu halten, und er war 'souverän' genug, um sich mitunter über bestimmte Seiten eines gewissen Personenkultes zu mokieren. "Was die Leute sagen? Nun, laß sie sagen, was sie wollen. Der Lobhudelei bin ich satt, daß sie mir hoch im Halse steht; der ewige Trödel mit meiner Person ekelt mich an; und wenn sie mich ausschimpfen, wo ich's nicht verdient habe, frage ich nichts danach."
Der oben angeführte Text geht zurück auf eine Veröffentlichung des Kolpingwerkes Deutschland.
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